Page 14 - German Council Magazin 04.2019
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GERMAN COUNCIL . MOBILITÄT
Unter den Wolken, Agglomeration. Wenn im Winter Schnee fällt
und die Fahrbahnen vereisen, kommen Auto-
über der Stadt mobile und Busse kaum noch voran.
La Paz baut die grösste Seilbahn der Welt
Stadtplaner und Verkehrsexperten forschen seit mehr als 100 Jahren 2012 beschließen Stadtrat und Regierung
an der Entwicklung immer neuer Mobilitätskonzepte. Nach Pferde- deshalb, den öffentlichen Nahverkehr in La
kutschen, Automobilen, Straßen-, Schnell- und U-Bahnen stehen Paz über ein Netz von Seilbahnen abzuwi-
ckeln. Den Zuschlag für das bislang 685 Milli-
nun Seilbahnen im Fokus. Sie lassen sich viel günstiger bauen als onen US-Dollar (618 Millionen Euro) schwere
schienengebundene Trassen – und sind ausgesprochen sicher Projekt erhält die österreichische Doppel-
mayr-Holding. Der Konzern mit Sitz im vorarl-
bergischen Wolfurt gilt mit einem Umsatz von
846 Millionen Euro im vergangenen Ge-
»Beeindruckend!«, entfährt es Evo Morales gelegenen Zwei-Millionen-Metropole die Men- schäftsjahr als Weltmarktführer im Bau von
Ayma. Über Boliviens Präsident türmen sich schen von den Außenbezirken zur Arbeit ins an Seilen gezogenen Transportsystemen.
weiße Cumuluswolken im azurblauen Him- Zentrum gelangen, sondern ein einzigartiges Seilbahnen aus Vorarlberg bringen nicht nur
mel, unter sich sieht er ein Mosaik aus Häu- öffentliches Personentransportsystem: Seit Wintersportler in den Alpen und den nord-
sern, Straßen und Gassen vorüberziehen. 2014 setzt die »Stadt des Friedens« auf Seil- amerikanischen Rocky Mountains vom Tal zu
»Das ist ein Werk der Integration für die Bevöl- bahnen. den Pisten, sie laufen auch in China, Israel,
kerung.« Spanien und Vietnam. Der »People Mover«,
Die neue, nun zehnte Strecke des »Mi Teleféri- die seilgezogene Kabinenbahn, die Venedigs
Das Oberhaupt des Andenstaates inspiziert co« verbindet seit diesem Jahr die zuvor be- künstlich errichtete Insel Tronchetto mit dem
bei einer Testfahrt das jüngste Bindeglied im reits geschaffenen Stationen »16 de Julio«, Piazzale Roma verbindet, ist ebenso ein Dop-
Nahverkehrsnetz der Hauptstadt La Paz: Die »Faro Murillo« und »Mirador«. Sie schließt da- pelmayr-Produkt wie die Luftseilbahn, die in
2,7 Kilometer lange »Línea Plateada«, die Sil- mit den Seilbahn-Ring um das Zentrum des London den Stadtteil Greenwich mit den
berlinie – eine stählerne Schnur, an der silber- 1.229 Quadratkilometer messenden Bal- Docklands verbindet.
ne Gondeln über den am höchsten gelegenen lungsraums zu Füßen des 6.439 Meter hohen
Regierungssitz der Welt ziehen. Nicht Busse Illimai, des zweithöchsten Berges des Lan- In Boliviens Hauptstadt schaffen die Österrei-
oder Straßenbahnen sorgen dafür, dass in der des. Bis zu 1.000 Meter beträgt der Höhenun- cher in staatlichem Auftrag das bislang größ-
durchschnittlich 3.600 Meter über Normalnull terschied zwischen den einzelnen Teilen der te Seilbahn-Projekt der Welt. 33 Kilometer
misst die Gesamtstrecke der zehn Linien. Pro
Tag nutzen rund 300.000 Menschen die im
Schnitt mit 15 Stundenkilometern gezogenen
© Vassil Anastasov Kabinen des »Mi Teleférico«-Netzes, um zur
Arbeit, zum Einkaufen, in die Schule oder in
die Freizeit zu gelangen. Für Thomas Pichler,
Geschäftsführer der Doppelmayr Seilbahnen
GmbH, ist das Projekt in Bolivien nicht der Hö-
hepunkt der Seilbahn-Entwicklung, sondern
der Beginn eines neuen globalen Trends. »Mi
Teleférico« zeige »die zahlreichen Vorteile,
mit denen dieses Verkehrsmittel umwelt-
freundlich und effizient zur verbesserten Mo-
bilität einer Stadt beitragen kann«, sagt Pich-
ler. »Wir sehen hier weltweit viel Potenzial.«
Manhattan stinkt nach Verwesung
Seit die Urbanisierung, der Drang der Men-
schen vom Land in die Städte, in der zweiten
Hälfte des 19. Jahrhunderts mit Macht be-
gonnen hat, suchen Stadtplaner nach Mög-
lichkeiten, dem Chaos auf den Straßen Herr
zu werden. Als sich 1898 renommierte Wis-
MIt der Teleférico in die City: Seilbahn in La Paz senschaftler, Politiker und Architekten aus
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