Page 12 - German Council Magazin 02.2019
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GERMAN COUNCIL . KONSUM




       »Der Kühlschrank gilt als                                               setzt und auch begonnen, die Produktion zu
                                                                               beeinflussen. Der Wackel-Elvis, der vor Jah-
       das erste massentaugliche                                               ren in vielen Autos an der Heck- oder Wind-
                                                                               schutzscheibe hing, war eigentlich als Gag
                                                                               der Werbeindustrie gedacht. Weil ihn so viele
       Konsumgut hierzulande«                                                  Menschen nachgefragt haben, ist er schließ-
                                                                               lich beim Endverbraucher gelandet und ein
                                                                               Kassenschlager geworden.
       Im Gespräch mit dem Historiker Dr. Manuel Schramm über
       die Geschichte der Konsumgesellschaft, warum Kaufhäuser zur             Der 2016 verstorbene Historiker Michael
                                                                               Prinz schrieb in seinem Buch »Die vielen Ge-
       Emanzipation der Frau beigetragen haben, verpackte Waren einst          sichter des Konsums«, dass »das feste La-
       als Qualitätsversprechen galten und der »Wackeldackel« den              dengeschäft die permanente Versorgung« si-
       Siegeszug im Heck von Opel, VW & Co. antreten konnte                    chert. Gilt das heute noch?
                                                                               Diese Sichtweise ist stark historisch geprägt
                                                                               und stimmt für das 19. Jahrhundert. Da-
                                                                               mals entstand in den Städten ein großes
                                                                               Netzwerk an »Tante-Emma-Läden«, die die
       Herr Dr. Schramm, was ist Konsum aus Sicht   ner Generation, die viel entbehrt hat und es   Bevölkerung mit allem versorgten, was sie
       der Wissenschaft?                   sich endlich gut gehen lassen wollte. Der   brauchten. Wer in die Städte zog, um dort
       Leider gibt es keine einheitliche Definition.   Kühlschrank gilt als das erste massentaugli-  Arbeit zu finden, hatte kein Land mehr, auf
       Früher hat die Wissenschaft beispielsweise   che Konsumgut hierzulande. Er war der In-  dem er Obst und Gemüse anbauen konnte.
       unter Konsum hauptsächlich den Kauf von   begriff von Luxus, was die Gewerkschaften   Zu dieser Zeit wuchs die Zahl der Läden so-
       Sachgegenständen verstanden – auch sol-  dazu veranlasste, Steuern auf Kühlschränke   gar schneller als die Bevölkerung in den
       cher, die direkt mit der Produktion von Waren   zu  verlangen.  Sie  haben  sich damit nicht   Städten. Auch der Aufstieg der Kaufhäuser
       zusammenhängen. Heutzutage orientiert   durchsetzen können. In England galt bei-  fällt in diese Epoche. Überall in Deutschland
       man sich eher daran, was beim Endverbrau-  spielsweise die Waschmaschine als das   entstanden damals Kaufhäuser – in Berlin
       cher landet. Dazu gehört auch Selbsterzeug-  Nonplusultra. Es war das begehrteste Pro-  genauso wie etwa in Paderborn. Das ist der
       tes wie etwa Musik, wenn ich eine Gitarre   dukt überhaupt – und jeder wollte es haben.   Grund für die heutigen Probleme: Das Filial-
       kaufe, oder das Gericht, das ich mithilfe des   Allerdings konnte sich nicht jedermann eine   netz der Kaufhäuser ist in Deutschland sehr
       Messers, des Herds, der Mikrowelle koche.   Waschmaschine leisten. Genauso wenig wie   dicht, ein Ergebnis der damaligen  Expansi-
       Konsum hört demnach nicht mit der Kauf-  den Kühlschrank hierzulande.   on. In Frankreich ist das beispielsweise
       entscheidung auf, sondern geht mit der krea-                                            ganz anders gelaufen.
       tiven Anwendung und Nutzung der Waren   Wenn  Sie schreiben                             Dort hat man die gro-
       weiter. Wobei sich die Nutzung eines Gegen-  »Konsum beinhaltet ak-  ›Ohne die Entbehrungen   ßen Kaufhäuser auf
       standes oder einer Dienstleitung auf unter-  tive Anpassungsleistung   während zweier Weltkriege   Paris beschränkt und
       schiedlichste Art zeigen kann: Ich kann den   durch den Konsumen-                       den Rest der Republik
       Fernseher den ganzen  Tag zu Berieselung   ten«, was genau bedeu-  und die Hungersnöte in den   über den Versandhan-
       laufen lassen. Ich kann aber auch gezielt nur   tet das?   jeweiligen Nachkriegsjahren   del erreicht. Wenn
       die Sendungen mit hohem Bildungspotenzial   Lange Zeit ging man da-                     man so will: Ein Vor-
       einschalten. Mit ein und derselben Sache   von aus, dass Konsum   wäre die Konsumgesell-  läufer des heutigen
       können unterschiedliche Dienstleistungen   eine Einbahnstraße und   schaft von heute gar nicht   Online-Handels.
       genutzt  werden.                    der Konsument passiv
                                           ist. Er konsumiert, was   möglich gewesen.‹         Apropos Kaufhäuser.
       Sie haben geschrieben, dass es beim Thema   er  von Industrie  und                      Inwiefern haben sie
       Konsum zum einen um den Überfluss und   Werbung vorgesetzt be-                          einst zur Emanzipati-
       den schönen Schein geht, zum anderen auch   kommt – und zwar auch genau so, wie es   on der Frau beigetragen?
       um den Mangel, die Entbehrungen und unbe-  vorgesehen ist. Das funktioniert aber nicht   Um 1900 bedeuteten die Kaufhäuser neue
       friedigten  Wünsche der Konsumenten. Wie   mehr. Schon in den 1980er Jahren haben   Bewegungsfreiheit für Frauen, die sich da-
       passt das zusammen?                 junge Menschen angefangen, Alltagsgegen-  mals – zumindest in bürgerlichen Kreisen –
       Ohne die Entbehrungen während zweier   stände anders als vorgesehen zu benutzen:   noch nicht allein im öffentlichen Raum be-
       Weltkriege und die Hungersnöte in den je-  Ob es die Bundeswehrhosen oder der Nato-  wegen durften, ohne als anrüchig zu gelten.
       weiligen Nachkriegsjahren wäre die Kon-  parka waren, die als Modetrend Einzug in die   Kaufhäuser hingegen boten einen Ort, an
       sumgesellschaft von heute gar nicht mög-  Zivilgesellschaft gehalten haben, oder die   dem sie sich erstmals ohne männliche Be-
       lich gewesen. Beides gehört unmittelbar zu-  alte Kaffeekanne, die als Vase umfunktio-  gleitung aufhalten und sich mit Freundinnen
       sammen. Der enorme Boom der 1950er Jahre   niert wurde. Die Menschen haben sich sehr   treffen konnten. Natürlich gab es dazu an-
       ist eine direkte Folge des Nachholbedarfs ei-  viel kreativer mit Konsum auseinander ge-  fangs auch Diskussionen über die morali-


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