Page 13 - German Council Magazin 02.2019
P. 13

GERMAN COUNCIL . KONSUM




                                             Bei allem Überfluss gibt es auch immer wie-  tik hat insofern schon immer Einfluss auf
                                             der Konsumkritik. Ein Phänomen des 20.   den Konsum genommen. Manchmal auch
                                             Jahrhunderts?                       ganz direkt: Die Nationalsozialisten haben
                                             Keineswegs. Es wurde schon früh kritisiert,   etwa den Verzehr von Roggenbrot propa-
                                             dass zu viel konsumiert wird. Im 18. Jahr-  giert,  um  ein  heimisches  Produkt  zu  pu-
                                             hundert brach sich die Luxuskritik bahn. Da-  schen und zu verhindern, dass während des
                                             mals ging es hauptsächlich um Genussmit-  Krieges wertvolle Devisen für ausländisches
                                             tel, die für uns heutzutage zum Alltag gehö-  Brot oder Getreide ausgegeben werden.
                                             ren. Aber Kaffee und Tee waren früher teuer,
                                             und nur die Wohlhabenden konnten sie sich   War der Sturz des DDR-Regimes 1989 eine
                                             leisten. Außerdem befürchtete man, dass die   »Konsum«-Revolution?
                                             heimische Wirtschaft leiden könnte, wenn zu   Niemand möchte den Menschen ihre edlen
                                             viele Waren importiert würden. Das bezog   Motive wie den Drang nach Freiheit und De-
                                             sich auch auf die Baumwolle, die leichter zu   mokratie in Abrede stellen. Aber den Wunsch
                                             bedrucken war als Wolle oder Leinen und   nach mehr Konsum kann man kaum davon
                                             durch die industrielle Fertigung ein er-  separieren. Wenn bestimmte Bevölkerungs-
                                             schwingliches Massenprodukt werden konn-  gruppen sich beklagen, dass sie von Waren-
                                             te. Natürlich fürchteten die Mächtigen auch   zugang  abgeschnitten sind, spielt  Konsum
                                             die mit dem Produktionswandel einherge-  immer eine Rolle. Die Menschen in der DDR
                                             henden gesellschaftlichen Veränderungen.   wussten ganz genau, dass es in der Bundes-
                                             Denn der Konsum ist auch immer ein Zei-  republik viel mehr zu kaufen gab, man nur in
                                             chen für mehr Selbstbestimmung und Frei-  einen Laden gehen musste, um zu bekom-
                                             heit gewesen.                       men, was man gerne gehabt hätte und man
         Dr. Manuel Schramm                                                      auch nicht zehn Jahre auf ein Auto warten
                                             Ist der Verbraucherschutz auch eine Ent-  musste. Da haben sich viele schon gefragt:
                                             wicklung, die mit wachsendem Konsum zu-  Warum ist das bei uns nicht möglich?
                                             sammenhängt?
         sche Fragwürdigkeit solcher Ausflüge, weil   Dass Verbraucher sich getäuscht fühlen, ist
         es ja nur männliche Bedienungen in den   ein altes Phänomen. Die Menschen hatten   Das Gespräch führte
         Kaufhäusern gab. Die Verkäuferin wie wir   schon immer Sorge, übers Ohr gehauen zu   Susanne Osadnik,
         sie heute kennen, ist ein Berufsbild, das erst   werden. Als Waren noch unverpackt verkauft   Chefredakteurin GCM
         nach dem 1. Weltkrieg entstanden ist und   wurden, bestand immer die Möglichkeit, sie
         mit der Ausweitung der Berufstätigkeit der   zu verfälschen: den teuren Kaffee zu stre-
         Frau in dieser Zeit zusammenhängt.   cken, den Wein zu verwässern. Als Maggi
                                             und Nivea die ersten verpackten Produkte
         Da wir gerade bei den Frauen sind. Gibt es   anboten, war das ein Qualitätsversprechen.
         geschlechtsspezifischen Konsum?     Liebigs Fleischextrakt gehört auch zu diesen
         Ja,  natürlich.  Den  hat  es immer  gegeben,   Produkten: Der deutsche Chemiker Justus
         und das wird vermutlich auch so bleiben –   von Liebig entwickelte in den 1840er Jahren
         wenn es auch immer wieder Klischees gibt,   einen  konzentrierten  Fleischtrank, der als
         die gern bedient werden, und die einfach so   Nährmittel vor allem für die ärmere Bevölke-
         nicht stimmen. Schon im 18. Jahrhundert   rung eingesetzt werden sollte, sich dafür
         gab es in Frankreich Untersuchungen über   aber als zu teuer erwies. Durch das Aufkom-
         das Konsumverhalten von Männern und   men der Markenartikel und der Selbstbedie-
         Frauen. Danach sollten vor allem Frauen   nung im Einzelhandel verlagert sich das
         gern Schuhe kaufen. Tatsächlich haben da-  Misstrauen der Konsumenten vom Händler
         mals Männer genauso viel für Bekleidung   auf die Produzenten.
         ausgegeben wie Frauen.
                                             Welche Wechselwirkung besteht zwischen
         Heutzutage werden geschlechtsspezifische   Konsum und Politik?
         Klischeés besonders gern wieder aufgenom-  Eine gut funktionierende Wirtschaft hilft in   Dr. Manuel  Schramm ist  Privatdozent an der
         men: Da werden Kleidung, Accessoires und   der Regel der amtierenden Regierung. Dann   Technischen Universität Chemnitz und wissen-
         Gebrauchsgegenstände in einer Flut von   wird viel weniger in Frage gestellt, und man   schaftlicher Mitarbeiter im sächsischen Indus-
         Rosa angeboten. Seit neuestem gibt es so-  hält sich mit der Kritik zurück. Unzufrieden   triemuseum.  Forschungsschwerpunkte sind
         gar Überraschungseier speziell für Mädchen.   werden die Menschen erst, wenn es ihnen   unter  anderen die Wirtschafts-  und Sozialge-
         Die Jungen werden mit Artikeln gelockt, die   persönlich schlechter geht, sie weniger ver-  schichte Westeuropas seit 1945 und die Kon-
         den »Superhelden«-Mythos verkörpern.   dienen und weniger ausgeben können. Poli-  sumgeschichte des 20. Jahrhunderts.

                                                                                                        GCM 2 / 2019 11
   8   9   10   11   12   13   14   15   16   17   18