Page 3 - German Council Magazin 02.2019
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VORWORT


                                                                           »Wer gerne einkauft, prügelt sich nicht«, sagt der
                                                                      Kommunikationstheoretiker Professor Dr. Norbert Bolz.
                                                                  Ȇberall dort, wo Menschen in konsumistischen Lebensformen
                                                                 existieren, muss man sich eigentlich nicht von Gewalt bedroht
                                                                    sehen. Der Konsumismus kommt ohne Blutvergießen, ohne
                                                                 Gewaltherrschaft, ohne Unterdrückung ganzer Bevölkerungs-
                                                                    schichten aus. Er verträgt sich gut mit der Demokratie und
                                                                        bewahrt vor Fanatismus. Er ist eine ganz brauchbare
                                                                                         Philosophie zur Selbstfindung.«

















         Liebe Leserinnen, liebe Leser,

         das lateinische Wort »consumere« heißt über-  der Menschen zum Konsum eingehen und we-  Der Handel bringt seit tausenden von Jahren
         setzt »verbrauchen«. Warum eine abgeleitete   der moralisch urteilen noch einsortieren. Aber   die Kulturen einander näher – auf großen und
         Version des Ursprungswortes schon lange   erlauben Sie mir, Ihnen ein paar kurze Gedan-  kleinen Handelsplätzen, in Shopping Centern
         Einzug in unsere Welt gefunden hat, weiß man   ken dazu mit auf den Weg zu geben. Denn die   oder Kaufhäusern kommen die Menschen zu-
         heutzutage nicht mehr. Aber jedermann kann   Lust am Konsum ist wahrscheinlich ebenso alt   sammen, um zu handeln, zu konsumieren und
         mit dem Begriff »Konsum« etwas anfangen.   wie die am anderen Geschlecht.   zu kommunizieren. Nach wie vor hat der Han-
         Zuweilen klingt er abstrakt, eher negativ, wenn                         del damit eine wichtige gesellschaftliche Funk-
         man vom Konsumenten und seinem Konsum   Bereits 1317 wurde das »Kaufhaus am Brand«   tion – heutzutage genauso wie morgen. Die
         spricht. Es erscheint uns im Kontext der heuti-  in Mainz als ein von der Stadt initiiertes »Ge-  absolute Stärke des Handels ist und bleibt der
         gen Zeit ein kritisch geprägter Begriff zu sein,   meinschaftswarenhaus« eröffnet. 1673 wurde   zwischenmenschliche Dialog. Ein »bitte hier
         der für viele negative Veränderungen in unse-  mit dem japanischen Kaufhaus »Echigoya«   unterschreiben« vom Paketdienstfahrer ist we-
         rer Welt herhalten muss. Gründe für den Kli-  der Grundstein für die mittlerweile älteste Wa-  der ein fundierter Ratschlag noch erzeugt er
         mawandel,  Verpackungs-Müllberge und  auch   renhauskette der Welt »Mitsukoshi« gelegt.   Glücksgefühle für den getätigten Einkauf. Das
         die unbändige Lust des »Onlinekonsums« sor-  Worauf reagierten die für damalige Zeiten re-  Persönliche kann auch nicht ersetzt werden
         gen täglich für Gesprächsstoff. Auch ist der   volutionäre Geschäftsmodelle? Ganz einfach:   durch künstliche Intelligenz – und das ist gut
         Nukleus unserer Branche für manchen ein   auf das urmenschliche Bedürfnis des Handels,   so! Auf dem Weg zum Omnichannel-Handel
         »Konsumtempel«.                     auf die Neugier am Neuen und Anderem, auf   muss der stationäre Handel sich (noch) mehr
                                             den Wunsch des zwischenmenschlichen Aus-  anstrengen und seine menschlichen Stärken
         In den vergangenen Jahrzehnten ist die Ent-  tausches, auf das Gespräch und die Zunei-  sowie den Service-Gedanken wieder in den Fo-
         wicklung des Konsums häufig stark verkürzt   gung und Anerkennung durch das Individuum   kus rücken. Nicht immer einfach, aber durch-
         betrachtet worden – vor allem aufgrund der   und die Gemeinschaft.      aus lohnenswert! Das echte Lächeln im Ge-
         starken und stetigen Weltwirtschaftswachs-                              sicht des glücklichen Kunden ist wie der Ap-
         tumszeiten nach dem 2. Weltkrieg. Nicht selten   »Wie steht mir das?« ist immer noch die ent-  plaus des Publikums für den sich verneigen-
         wird der Konsument in der gesellschaftlichen   scheidende Frage beim Einkauf von Textilien.   den Tenor. Und damit unbezahlbar und unver-
         Wahrnehmung als willenloser und unmündiger   Der darauf folgende Dialog mit dem Begleiter   gleichlich.
         Kunde stilisiert, der aufgrund seiner Eigen-  oder Verkäufer ist in der Regel die Entschei-
         schaften, Neigungen und Wünsche seine Lust   dungsgrundlage für den Kauf. Man könnte fast
         am Konsum fast »besorgniserregend« auslebt.   sagen, dass der Begriff »Konsum« die Positi-
                                             onsbestimmung zu den Fragen »Wer bin ich in
         Mitnichten will ich nun an den Grundfesten un-  der Gesellschaft?« und »Wo stehe ich in der
         terschiedlicher Sichtweisen  auf die Haltung   Gesellschaft?« beinhaltet.
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