German Council Magazin 04.2018 - page 30


GCM 4/2018
GERMAN COUNCIL . WANDEL
»DOKTOR XIAO YI, ZUR VISITE, BITTE ...«
China entwickelt sich rasant: Das Reich der Mitte öffnet sich mehr und mehr für ausländische
Investoren und ist die verlängerte Werkbank der Welt geworden. Jetzt verfolgt man ein weiteres
ehrgeiziges Ziel: Die Volksrepublik will zur führenden Hightech-Nation aufsteigen
Exakt 8.706 Kilometer trennen Lathen im Ems-
land von Schanghai. Was die 6.363 Einwohner
zählende Gemeinde im westlichen Nieder-
sachsen mit der chinesischen Millionen-Metro-
pole verbindet, ist der Transrapid – eine Bahn,
die nicht auf Rädern rollt, sondern auf Mag-
netkissen schwebt – mit einem Tempo, das
nahe an die Geschwindigkeiten von Flugzeu-
gen herankommt. Im Emsland wurde sie ge-
testet, in Schanghai ist sie Realität geworden.
Von Siemens und ThyssenKrupp in den späten
1960er Jahren entwickelt, scheitert die Reali-
sierung der Magnetschwebebahn in Deutsch-
land nach 40 langen Planungs- und Entwick-
lungsjahren an Einwendungen von Natur-
schützern und Bürgerinitiativen. Für China ist
das die Chance, günstig an die Technologie zu
gelangen. Am 23. Januar 2001 unterzeichnen
Peking und die beiden deutschen Industrie-
konzerne den Vertrag über den Bau einer 30
Kilometer langen Bahn vom Messezentrum
Shanghai New International Expo Centre zum
Flughafen Pudong. Die Vertragssumme: 1,293
Milliarden D-Mark, umgerechnet 661,1 Millio-
nen Euro.
Nur ein Jahr später, am 31. Dezember 2002,
rast erstmals ein Zug im Passagierbetrieb mit
bis zu 430 Stundenkilometern über die Stre-
cke. Mit an Bord: Chinas Ministerpräsident Zhu
Rongji. Für ihn ist die neue Shanghai Magnetic
Levitation Train ein Triumph – ein in Beton und
Stahl gegossenes Symbol für den Fortschritt
im Reich der Mitte.
China ist der grsste Automarkt
der Welt
Als 1969 die Planung für den Bau der Transra-
pid-Teststrecke bei Lathen beginnt, ist Deutsch-
land die Technologienation der Welt. Der
Hamburger Erfinder Jürgen Dethloff und der
Stuttgarter Ingenieur Helmut Gröttrup haben
das Patent für die erste Chipkarte angemeldet.
Der Elektrotechniker Rudolf Hell hat bereits
Deng jedoch durch diplomatisches Geschick,
erst in den höchsten Führungszirkel und
schließlich an die Macht zu kommen.
Der neue starke Mann in Peking krempelt das
riesige Land um, mit einer bislang in kommu-
nistischen Staaten nicht gekannten Wirt-
schaftspolitik: China öffnet sich Schritt für
Schritt dem Kapitalismus. Zwar wird – bis heu-
te – nicht die herrschende Stellung der KPCH
in Frage gestellt. Aber Privatpersonen dürfen
Waren fertigen und Handel treiben. Ausländi-
sche Investoren werden ins Land gelockt. Zu
den Vorreitern zählt der deutsche Volkswagen-
Konzern. 1984 unterschreibt dessen damaliger
Vorstandschef Carl H. Hahn mit der Shanghai
Tractor Automobile Corporation und der Bank
of China einen Vertrag über die gemeinsame
Fertigung des VW Santana. Ein Jahr später
läuft die Produktion in Schanghai an.
Kaufkraft dank Reformen
Heute ist China der größte Automarkt der
Welt. Jedes dritte deutsche Fahrzeug wird
2017 in das Reich der Mitte verkauft, analysie-
ren die Wirtschaftsprüfer von Ernst & Young
(EY) in einer Studie. Allein der VW-Konzern
setzt hier 3,177 Millionen Wagen ab. Und nicht
nur Automobilproduzenten verkaufen einen
immer größeren Anteil ihrer Fertigung im
kommunistischen Staat mit der kapitalisti-
schen Wirtschaftsstruktur. Auch für Luxusgü-
ter-Konzerne wie Chanel, Hermès und LVMH –
kurz für: Louis Vuitton Möet Hennessy – ver-
dienen hier kräftig. Nach einer Studie der Bos-
toner Beratungsgesellschaft Bain & Company
entfällt 2017 fast ein Drittel des weltweit auf
umgerechnet 358 Milliarden Euro geschätzten
Umsatzes an Luxuswaren auf China.
Die gewaltige Kaufkraft im Land ist die Folge
von Dengs Reformen, die seine Nachfolger im-
mer weiter voran getrieben haben. Immer
mehr Unternehmen aus Europa und Nordame-
rika lassen Produkte in China fertigen. Erst
den Scanner entwickelt, der Ingenieur Walter
Linderer den Airbag. Automobile und Maschi-
nen made in Germany gelten international als
Spitzenprodukte: zuverlässig, langlebig, exzel-
lent konstruiert.
In China hingegen ächzen die Menschen unter
der vom kommunistischen Diktator Mao Ze-
dong losgetretenen Kulturrevolution. Bereits
die Zwangskollektivierung von Landwirtschaft
und Betrieben, euphemistisch als »Großer
Sprung nach vorn« tituliert, hat bis zu 45 Milli-
onen Hungertote gefordert. Nun herrscht der
Terror der »Roten Garden«. Wer als vermeintli-
cher Kapitalist in Verdacht gerät, kann Gesund-
heit und Leben nur schützen, indem er andere
denunziert. Die Hexenjagd bringt Millionen
Menschen Folter, Gefängnis und Arbeitslager –
und mindestens 400.000 von ihnen den Tod.
Der wahre »Große Sprung nach vorn« – er fin-
det statt, nachdem Mao 1976 stirbt. Zwei Jahre
später übernimmt Deng Xiaoping die Führung
der Kommunistischen Partei Chinas, der KPCH.
Der 75-jährige frühere hochrangige Politiker
wird selbst während der Kulturrevolution als
einfacher Arbeiter in ein Traktorenwerk in die
Provinz verbannt, seinen Sohn Pufang miss-
handeln die Roten Garden so schwer, dass er
querschnittsgelähmt ist. In den Wirren nach
dem Tod des »Großen Vorsitzenden« schafft es
1984 war die Welt bei VW noch in Ordnung: VW Santana
»made in China«
© commons.wikipedia.org
1...,20,21,22,23,24,25,26,27,28,29 31,32,33,34,35,36,37,38,39,40,...92
Powered by FlippingBook