German Council Magazin 04.2018 - page 26

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GCM 4/2018
GERMAN COUNCIL . WANDEL
KULINARISCHE POPKULTUR
Noch nie wurde so viel über Essen geredet, gechattet und getwittert wie heute. Die Globalisierung
hat längst enormen Einfluss auf unser tägliches Essverhalten. Wir snacken im Gehen, vor dem
Fernseher, vor dem Computer. Nahrung steht fast rund um die Uhr zur Verfügung – egal was und
in welcher Form auch immer. Fastfood, Slowfood, Soulfood. Luxusrestaurant, Imbissbude, Food-
Truck. Dabei verschwimmen die Grenzen von lokaler, regionaler und internationaler Küche immer
mehr miteinander
Brigitte Macron: 65 Jahre alt, 164 Zentimeter
groß, 45 Kilogramm leicht. Viele Frauen be-
neiden Frankreichs Première Dame um ihre
mädchenhaft Figur; Modezar Karl Lagerfeld,
der die zierliche Blondine einkleiden darf,
schwärmt öffentlich von ihren Beinen, die die
schönsten der gesamten Republik sein sollen.
Très formidable, Madame. Dafür tut die Frau
des französischen Präsidenten aber auch Eini-
ges: exzessives Sportprogramm, kaum Alko-
hol. Fastfood ist absolut tabu. Ebenso Süßes.
Schokolade? Auf keinen Fall. Und das, obwohl
Madame jederzeit Zugriff darauf hätte: Ihrer
Familie gehört seit Generationen eine Schoko-
ladenmanufaktur, deren Spezialität »Maca-
rons d´Ámièns« sind. Statt dessen greift sie
häufiger zu Fisch als zu Fleisch; zieht die
Meeresfrüchteplatte dem Filet-Steak vor. Und
sechsmal täglich gibt es kleine Portionen Obst
und Gemüse.
Damit liegt Madame Macron voll im Trend.
Weniger ist mehr, verkünden Ernährungswis-
senschaftler, Essens-Coaches und Foodtrend-
gefeiert. Die Kartoffeln sind lila, der Smoothie
giftgrün, die »Spaghetti« möhrengelb, weil sie
aus Karotten spiralt werden. Willkommen im
hippen Universum des Genusses.
Schweinshaxe in Thailands Kche
Je mehr die Welt zusammenrückt, desto bunter
wird unser Essen und desto mehr vermischen
sich lokale und regionale mit internationalen
Küchen. »Statt einer Reissuppe frühstücken
heute viele Thais Milchkaffee mit Toastbrot
oder mit Cereals, was einer Revolution gleich-
kommt«, sagt Marin Trenk, Deutschlands einzi-
ger Food-Ethnologe und ausgewiesener Thai-
landkenner. »Die urbane Jugend ist ganz verses-
sen auf Milchbars, die neben Milchgetränken
vor allem Weißbrot servieren, das in dicken
Scheiben getoastet wird, um dann mit sirupsü-
ßen Soßen verdrückt zu werden.«
Es geht aber noch deftiger: Wer hätte ge-
dacht, dass deutsche Schweinshaxe triumpha-
len Einzug in Thailands Küche halten würde –
allerdings in sauren Sud eingelegt und mit Ko-
riander serviert. Oder Frankfurter Würstchen
mit Seafood kombiniert als scharfer Salat ver-
speist werden. Selbst bayerische Laugenbre-
zeln sind in Thailand populär. In China trinkt
man bayerisches Bier; in Vietnam kommt
deutsche Wurst auf den Tisch. Im Gegenzug
hat sich hierzulande die asiatische Esskultur
stark ausgebreitet, wenn sie in Restaurants
auch in »germanisierter« Form auf den Tisch
kommt. »Es wird nur eine Auswahl an Gerich-
ten gekocht, die Einheimische so nicht essen
würden«, sagt der Frankfurter Ethonologie-
Professor. »Die Gerichte für die Deutschen
werden beispielsweise von charakteristischen
Zutaten wie bitteren Kräutern befreit. Alles,
was sperrig ist, fällt weg.«
Das gilt wohl auch für den heißgeliebten tür-
kischen Döner. Weil die Deutschen nicht auf
Lamm stehen, gibt es ihn halt aus Kalbfleisch
analysten auf allen Kanälen. Kleinere Portio-
nen, viel Obst und Gemüse, alles immer frisch,
keine Zusatzstoffe oder Geschmacksverstärker,
regional und bio versteht sich, möglichst we-
nig Fleisch, dafür zwei mal in der Woche Fisch.
Fleisch mit reichlich Soße war gestern – zu-
mindest hierzulande. Das klassische Sonntags­
essen aus deftigem Braten, kalorienreicher
Sahnesoße, Klößen und Erbsen mit Möhren
aus der Konserve sind Relikte des vergange-
nen Jahrhunderts. Nur, wer älter als 70 Jahre
ist, findet daran noch Gefallen. »Wir werden
zwar nicht alle zu Vegetariern, aber wir haben
erkannt, dass Fleisch nicht der Mittelpunkt ei-
nes guten Genussuniversums sein muss«, ist
Food-Päpstin Hanni Rützler überzeugt.
»Kopernikanische Wende« in unserer Esskul-
tur nennt sie das, was zurzeit auf unseren Tel-
lern passiert: Wir essen Quinoa, Avocados, Al-
gen, Chiasamen statt Leinsamen, finden Aus-
tern lecker und Nierchen eklig. Rotkohl ist
nicht länger nur matschige Beilage zum Sau-
erbraten, sondern wird als Rohkost-Erlebnis
Immer beliebter: Bei Street-Food-Festivals stehen Delikatessen aus aller Welt imMittelpunkt
© Aleksandr_Vorobev – istockphoto.com
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