German Council Magazin 04.2018 - page 14

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GCM 4/2018
GERMAN COUNCIL . INTERVIEWS
IM GESPRÄCH MIT ...
Günther Oettinger
, EU-Kommissar für Haushalt und Personal und damit verantwortlich für einen
Milliarden schweren Etat. Der einstige Ministerpräsident von Baden-Württemberg hat in den vergan-
genen Jahren an vielen europäischen Entscheidungen mitgewirkt – zunächst als Kommissar für
Energie, später im Rahmen seiner Zuständigkeit für das Ressort Digitale Wirtschaft und Gesellschaft.
In Brüssel sprach er unter anderem über das Warten auf eine handlungsfähige deutsche Regierung,
die Regeln des Binnenmarktes und die Schwierigkeit, digitale Wertschöpfung zu bemessen
Herr Oettinger, sind Sie nach zehn Jahren im
Herzen der europäischen Entscheidungsinstan-
zen immer noch ein überzeugter Europäer?
Nicht nur immer noch, sondern mehr denn je.
Ich war schon immer fasziniert von Europa, in
jungen Jahren von der damals schon
enger werdenden Verbindung mit
dem französischen Elsass, der Städte-
partnerschaft von Stuttgart mit Straß-
burg. Und später durch die Möglichkei-
ten, die durch die Freizügigkeit ent-
standen sind. Das Wichtigste ist aber: Wenn wir
die Welt von übermorgen nur ein bisschen nach
unseren Vorstellungen mitgestalten wollen,
geht das nur gemeinsam im europäischen Rah-
men. Alles andere ist viel zu klein gedacht.
Können Sie sich erklären, warum nicht nur hier-
zulande, sondern auch in anderen Ländern der
EU, der europäische Gedanke immer weniger
zählt?
Natürlich beobachten wir in manchen Staaten
der Europäischen Union eine Entwicklung, die
durch Populismus und Neonationalismus ge-
prägt ist. Andererseits sieht man am Beispiel
Frankreichs, dass man mit Europa sogar Wah-
eher, dass es eine handlungsfähige deutsche Re-
gierung bräuchte, die sich mehr um europäische
Themen kümmert als um rein innerdeutsche The-
men. Ich würde mir auch wünschen, dass sie den
Punkt in der Koalitionsvereinbarung umsetzt, der
»neuer Aufbruch für Europa« heißt.
Wie kann man dem abhelfen?
Indem man das immer wieder an-
spricht, und das tun wir ja gerade …
Das haben Sie kürzlich ja schon einmal getan,
als Sie in einem Interview mit dem Nachrichten-
magazin Spiegel eindringlich an die CSU appel-
liert haben, keinen Anti-Europa-Wahlkampf zu
führen. Hat Sie daraufhin jemand aus den Rei-
hen der CSU angesprochen?
Ich habe ja regelmäßig Kontakt zu Edmund
Stoiber, Theo Waigel, aber auch zu Markus
Söder oder Joachim Herrmann. Abgesehen von
den Europa-Abgeordneten aus Bayern, die ich
ohnehin regelmäßig treffe. Mein Rat war da-
mals, mehr auf die Erfolge Bayerns hinzuweisen.
Bayern war ja früher ein reiner Agrarstaat. Und
durch eine konsequente Standortpolitik zählt
das Land heute – nimmt man die Zahl der Dax-
Konzerne, die vor Ort vertreten sind, oder die
niedrige Arbeitslosenquote, die hohe Qualität
der Universitäten, aber auch die Erfolgsschlager
FC Bayern München und nicht zu vergessen das
Oktoberfest hinzu – zu den wirtschaftlich stärks-
ten und erfolgreichsten Bundesländern. Und für
die Fortsetzung dieser Erfolgsgeschichte durch
Wiederwahl zu werben, wäre für Bayern die
beste Strategie – jedenfalls sehr viel besser als
ständig über Migrationsfragen zu reden.
Aber es scheint ja niemand auf Sie gehört zu
haben?
Markus Söder hat schon die Qualitäten des
Freistaates in den Vordergrund gerückt. Aber
das Thema Migration ist gerade im Frühsom-
mer viel zu emotional diskutiert worden, und
das war aus meiner Sicht in einem Wahlkampf
nicht zielführend.
len gewinnen kann. Präsident Macron hat sehr
deutlich gezeigt, wie man mit europäischen
Themen begeistern und Wahlen gewinnen
kann. In der Mehrheit der EU-Länder herrscht
übrigens eine klare proeuropäische Einstel-
lung. Man darf nicht immer nur auf Polen oder
Ungarn schauen, sondern auch auf Länder wie
Estland, Lettland, Irland, Malta oder Zypern. In
diesen noch jüngeren Mitgliedstaaten ist man
sehr europäisch eingestellt.
Emmanuel Macron hatte viele Ideen und Visio-
nen, als er gewählt wurde. Nach mehr als einem
Jahr im Amt hat man allerdings den Eindruck,
dass er damit ins Leere läuft. Ist das »große
Denken« innerhalb Europas heutzutage nicht
mehr möglich?
Doch. Seine Vorschläge liegen ja hier auf dem
Tisch, und man muss ja nicht alles, was er sich
überlegt hat, vollständig teilen. Der Punkt ist
›In der Mehrheit der EU-Länder herrscht
eine klare proeuropäische Einstellung.‹
© Alexander Louvet – www.powershoots.be
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